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Es ist der eingeübte Ablauf. In der Werkshalle des Sägewerks Dold in Buchenbach nahe Freiburg steht Hubertus Heil drei ukrainischen Frauen gegenüber, die hier Arbeit gefunden haben.
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Während des Gesprächs verschränkt der Bundesarbeitsminister die Arme vor der Brust, legt eine Hand ans Kinn und nickt, ernst blickend, bei den Antworten der Frauen. Heils Interesse, das wird erkennbar, ist echt. Der Ablauf jedoch wirkt einstudiert. Es ist ein Pressetermin, wie der Minister ihn in den letzten Monaten zuhauf abgehalten hat. Heil will für seinen „Jobturbo“ werben – wieder einmal.
Bei Temperaturen um die 30 Grad ist der SPD-Mann dafür nach Baden-Württemberg gereist, besucht „im Ländle“ Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Der Druck auf Heil ist gestiegen, mit seinen Plänen zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen und dem Bürgergeld klare Erfolge vorweisen zu können. Dass die Grundsicherung mittlerweile fast zur Hälfte an Menschen ohne deutschen Pass ausgezahlt wird, kann Heil nicht mehr ignorieren.
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Zwar gibt es Erfolge im Kleinen. So haben seit November 2023 insgesamt 123.000 Flüchtlinge aus der Ukraine und anderen Ländern wie Afghanistan oder Syrien Arbeit gefunden. Doch weil viele Anstellungsverhältnisse nicht von Dauer sind und der Zuzug anhält, steigen die Beschäftigungsquoten kaum.
„Anschubfinanzierung“ für Langzeitarbeitslose
Ein Positiv-Beispiel wie das Sägewerk Dold kommt Heil da gerade gelegen. Etwa 220 Beschäftigte arbeiten dort, 15 davon aus der Ukraine, wie Personalleiter Martin Wiedemann sagt.
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Seit 1882 verarbeitet der Traditionsbetrieb Fichten und Tannen aus dem Südschwarzwald. Im Fünf-Sekunden-Takt schaufelt eine Schwerlastkippmaschine vier Tonnen schwere Stämme auf ein Fließband vor der Werkshalle. Drinnen wird das Holz Schritt für Schritt weiterverarbeitet: Die Maschinen kreischen und puffen, Späne fliegen durch die von der Hitze flirrende Luft, das Atmen fällt schwer.
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Es ist eine Arbeit, für die sich immer weniger Menschen finden – und einer der ungelösten Konflikte während Heils Amtszeit: steigende Bürgergeld-Zahlen bei gleichzeitig hohem Arbeitskräftemangel.
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Dass die Höhe des Bürgergeldes inklusive geldwerter Leistungen des Sozialstaates dabei eine Rolle spielen, wird Heil auf der Reise mehrfach abstreiten. Das Vorhaben, mehr Menschen durch Qualifikation nachhaltig in Arbeit zu bringen, bleibe richtig. Und auch die Ergebnisse des „Jobturbos“ können sich sehen lassen, findet der Minister.
Das dürften nicht alle in der Ampel-Koalition so sehen. Denn während Heil durch das „Ländle“ fährt, scheint in der Hauptstadt das Bürgergeld demontiert, ja sogar „abgeschafft“ zu werden, so zumindest die Interpretation des „Spiegels“. Christian Lindner (FDP), Olaf Scholz (SPD) und Robert Habeck (Grüne) hätten die „größte Arbeitsmarktreform seit 20 Jahren“, wie Heil sie nennt, derart verschärft bis an die Grenze dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist.
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Und tatsächlich: Wo anfangs viel von „Begegnung auf Augenhöhe“ gesprochen wurde, sind nun Änderungen geplant, die über das hinausgehen, was bei Hartz-IV galt. Die widersprüchliche Bürgergeld-Taktik der Ampel setzt sich damit fort.
Künftig wird laut des sogenannten Wachstumspapiers beispielsweise unterschieden, ob Arbeitslose ihre Pflicht zur Mitwirkung verletzen, etwa wenn sie Schulungen verweigern, oder nur vereinbarte Termine nicht wahrnehmen. Bei beiden Verstößen soll der Regelsatz um 30 Prozent gekürzt werden. Für zwei Monate soll Beziehern die Stütze außerdem gestrichen werden, wenn sie beim Schwarzarbeiten erwischt werden.
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Zudem soll eine Pendelzeit von drei Stunden Hin- und Rückfahrt zumutbar sein. Die Jobcenter sind angehalten, Arbeitsplätze im Umkreis von 50 Kilometern zu suchen. Und beim Schonvermögen schließlich wird die sogenannte Karenzzeit verkürzt: Künftig gilt die Grenze von 15.000 Euro bereits nach sechs Monaten, nicht erst nach zwölf Monaten.
Ebenfalls neu: Eine „Anschubfinanzierung“, wie Heil sie nennt. Langzeitarbeitslose, die Arbeit aufnehmen, bekommen zusätzlich ein Jahr lang eine Prämie ausgezahlt. Wie hoch sie sein soll, ist noch unklar. Die Prämie dürfte auch der einzige Punkt sein, der Heil gefällt. Zu den Verschärfungen hingegen äußert sich der Minister am Rande der Reise eher einsilbig. Zwar finde er die geplanten Änderungen „vertretbar“. Es handle sich nicht um „drastische Verschärfungen“, sondern lediglich um ein „Nachsteuern“.
Arbeitsmarktintegration durch Deutschkenntnisse
Tatsächlich tragen die Reformpläne aber die Handschrift der FDP – und Heil scheint damit zu hadern. Es gebe im Wachstumspapier „ein paar Dinge, die sind Kompromisse“, so der SPD-Politiker. „So ist das, wenn man Koalitionspartner hat.“
Dass durch die Haushaltseinigung den Jobcentern der Geldhahn zugedreht wird, befürchtet wiederum Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA). Sie hatte gewarnt, dass ohne „auskömmliche Mittel“ die Vermittlung, gerade unter Flüchtlingen, schlechter werde, weil kein Geld für neue Fördermaßnahmen mehr da sei.
Konkret soll der Topf, aus dem diese Maßnahmen und die Verwaltungsausgaben bezahlt werden, gleich hoch bleiben – obwohl die Zahl der Bürgergeldempfänger gestiegen ist und Tarifsteigerungen die Kosten treiben. Das käme einer Kürzung gleich, heißt es aus den Jobcentern.
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Von Änderungen bei Sprachkursen hingegen ist im Ampel-Papier nichts zu lesen. Dabei scheitern die meisten Arbeitsmarktintegrationen, weil kein passendes Angebot vorliegt – oft wegen mangelnder Deutschkenntnisse. Bemerkenswert hoch sind jedoch die Abbruchquoten in den Integrationskursen: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zählte im ersten Halbjahr 2023 etwas mehr als 300.000 Kursteilnehmer. 176.000 Teilnehmer, also mehr als die Hälfte, brach jedoch vorzeitig ab.
„Hier im Betrieb ist der Vorteil, dass man für einfache Tätigkeiten kein fließendes Deutsch braucht“, sagt Personalleiter Wiedemann im badischen Sägewerk Dold. Er findet, dass die Politik viel früher auf berufsbegleitende Sprachkurse hätte setzen müssen.
Von den 16 Flüchtlingen aus der Ukraine, die Dold im August 2022 eingestellt hat, sind noch 15 im Betrieb. Eine geradezu herausragende Quote: Denn bei Personen, die das Jobcenter vermittelt, ist in der Regel knapp die Hälfte nach weniger als drei Monaten wieder arbeitslos, wie Statistiken der BA zeigen.
Das Sägewerk hat einige der berufsbegleitenden Sprachkurse selbst bezahlt, wie Wiedemann berichtet. Beim Bürgergeld und „Jobturbo“ ist normalerweise das Gegenteil der Fall. Kurse und oft auch Eingliederungszuschüsse bei Stellenantritt werden durch die Beitragsmittel der Beschäftigten bezahlt. Auch deshalb ist Heil unter Zugzwang geraten.
„Wo sind denn Ihre 220 Mitarbeiter?“, fragt der Arbeitsminister beim Firmenrundgang. Tatsächlich arbeiten die Maschinen größtenteils autark. Am Ende der Produktionslinie stapelt ein Kuka-Roboter die Holzplatten aufeinander. Gleichzeitig im Werk arbeiten bei der hochautomatisierten Produktion immer nur eine Handvoll Kollegen.
Die Suche nach qualifiziertem Personal falle immer schwerer, berichtet Wiedemann. Auch die Frage nach der Wohnsituation bei Flüchtlingen treibt die Firma um. Und dann sind da noch die vielen beteiligten Behörden, die sich einschalten, wenn Bewerber ohne deutschen Pass eingestellt werden sollen und einander widersprechen. „Eine Katastrophe ist das“, sagt Wiedemann.
Heil nickt. Noch ein Thema, das er in die Ampel-Koalition „mitnehmen“ wird, wie er sagt.